Konstruktion von kompetenzorientierten Prüfungsfragen
Reinhard Schott
November 2017
Für die Konstruktion passender Prüfungsfragen ist es (wie auch beim Formulieren der Studienziele) sinnvoll, sich die Frage zu stellen, auf welchem kognitiven Anspruchsniveau sich das zu überprüfende Studienziel befindet. Für ein differenziertes Erfassen des Wissens sowie des Könnens bzw. der Kompetenzen sollte bei der Fragenkonstruktion darauf geachtet werden, Fragen mit angemessenem kognitivem Anspruchsniveau und Schwierigkeitsgrad zu erstellen.
1. Formulieren von kompetenzorientierten Prüfungsfragen
Eine Hilfestellung bei der Formulierung von Studienzielen und kompetenzorientierten Prüfungsfragen bieten sogenannte (Lernziel-) Taxonomien wie etwa jene von Bloom[1] bzw. deren Revision durch Anderson und Krathwohl[2]. Sie erleichtern die Ausdifferenzierung der Studienziele nach verschiedenen kognitiven Anspruchsniveaus und in weiterer Folge auch das Formulieren von Prüfungsfragen im Sinne von Wissen sowie Können (Verstehen, Anwenden, Analysieren etc.). „Probleme lösen“, im Sinne des kompetenzorientierten Prüfens, kann nach Walzik[3] etwa ab dem kognitiven Leistungsniveau „Anwenden“ getestet werden (siehe Tabelle 1).
Das Verwenden von Verben, die sich an überprüfbaren Handlungen von Studierenden orientieren, kann bei der Formulierung kompetenzorientierter Prüfungsfragen (und Studienzielen) unterstützend sein. In Tabelle 1 finden sich einige Beispiele für Verben zur Formulierung von Prüfungsfragen und Studienzielen.
Tabelle 1: Beispiele für Verben zur Formulierung von Prüfungsfragen und Studienzielen nach der Taxonomie von Bloom
Wissen |
| Können | ||||
Probleme lösen | ||||||
Wissen |
| Verstehen | Anwenden | Analyse | Kreieren/Gestalten Synthese | Bewertung |
reproduzieren |
| darstellen | durchführen | testen | zusammensetzen | beurteilen |
angeben |
| beschreiben | berechnen | vergleichen | sammeln | argumentieren |
benennen |
| bestimmen | benutzen | kontrastieren | organisieren | voraussagen |
auflisten |
| demonstrieren | herausfinden | isolieren | konstruieren | wählen |
schildern |
| ableiten | löschen | auswählen | präparieren | evaluieren |
bezeichnen |
| diskutieren | ausfüllen | unterscheiden | schreiben | begründen |
aufsagen |
| erklären | eintragen | gegenüberstellen | entwerfen | prüfen |
definieren |
| formulieren | erstellen | ermitteln | schlussfolgern | entscheiden |
aufzählen |
| zusammenfassen | anwenden | kategorisieren | verbinden | kritisieren |
erzählen |
| lokalisieren | lösen | bestimmen | konzipieren | benoten |
zeichnen |
| präsentieren | quantifizieren | experimentieren | zuordnen | schätzen |
ausführen |
| erläutern | illustrieren | sortieren | zusammenstellen | werten |
skizzieren |
| übertragen | bearbeiten | untersuchen | entwickeln | klassifizieren |
… |
| … | … | … | … | … |
Zu dieser Liste passend, wird im ECTS Leitfaden 2015[5] ein weithin akzeptiertes Verfahren zur Formulierung von Lernergebnissen basiert auf drei zentralen Elementen“ beschrieben:
1. Benutzung von Verben im Aktiv, um auszudrücken, was Studierende wissen und in der Lage sein sollen zu tun (z. B. Absolventen können „beschreiben“, „umsetzen“, „Schlüsse ziehen“, „bewerten“, „planen“). 2. Benennung des Objekts oder der Fertigkeit, auf das sich ein Lernergebnis bezieht (z.B. kann die Funktion von „Hardware-Komponenten“ erklären oder kann den „Plan eines Wohnzimmers von Hand“ darstellen). 3. Festlegung, woran das Erreichen der Lernergebnisse erkennbar ist (z. B. „einen Überblick über die in der Elektrotechnik am häufigsten verwendeten Werkstoffe geben“, „durch Anwendung moderner wissenschaftlicher Methoden einen Forschungsansatz entwickeln“ usw.). |
Nachfolgend finden sich einige Beispiele für formulierte Studienziele im Sinn von Wissen und Können. Eine eindeutige Zuordnung der Prüfungsfragen zum jeweiligen kognitiven Anspruchsniveau ist oft nur schwer möglich und in der Praxis wohl nicht nötig. Grundgedanke hinter der Auflistung der folgenden Kategorien und Beispiele ist es, mögliche Formulierungen von Prüfungsfragen und Studienzielen zu zeigen.
1.1 Wissen/Erinnern
Die Studierenden sollen das gemäß der Studienziele erworbene Wissen wiedergeben. Die Kategorie Wissen unterscheidet sich von den anderen Kategorien der Taxonomie von Lernzielen darin, dass das Erinnern der hauptsächliche Prozess ist. Zum Wissen zählt unter anderem: konkrete Einzelheiten erinnern; die Bedeutung von Fachausdrücken/Terminologien kennen; Wissen über spezifische Fakten, Formeln, Grundprinzipien, Klassifikationen und Kategorien, Methoden, Theorien etc.
Wissen/Erinnern: Beispiele für die Formulierung von Studienzielen und Prüfungsfragen |
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Mögliche Studienziele
Mögliche Prüfungsfrage Studienziel: Studierende können die drei Gehirnstrukturen nennen, die für Lernprozesse zentral sind. Wie diese Gehirnstrukturen zusammenhängen, muss in diesem Stadium noch nicht verstanden werden. Für eine MC-Frage müssten hier nur die Antwortmöglichkeiten zusätzlich vorgegeben werden: |
1.2 Können
Das Prüfen von eigenständigen Denkleistungen, die auf dem erworbenen Wissen aufbauen („Können“ oder auch „Transferleistungen“ genannt), entspricht den kognitiven Anspruchsniveaus Verstehen, Anwenden, Analyse, Kreieren/Gestalten/Synthese und Bewertung. Ab dem Kompetenzniveau Anwenden kann man zudem davon ausgehen, dass Problemlösekompetenzen geprüft werden können[6]. Wobei man durchaus argumentieren kann, dass jemand auf dem kognitiven Anspruchsniveau Verstehen, etwa bei der Übersetzung theoretischen Wissens in ein praktisches Beispiel, ebenfalls schon ein Problem löst.
Verstehen
Die Bedeutung erlernten Wissens soll erfasst werden. Die Studierenden wissen, worüber gesprochen wird und können von den darin enthaltenen Ideen Gebrauch machen
Verstehen: Beispiele für die Formulierung von Studienzielen und Prüfungsfragen Mögliche Studienziele |
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Mögliche Studienziele
Mögliche Prüfungsfrage Studienziel: Studierende können anhand eines konkreten Beispiels die zugrunde liegende Art der Motivation bestimmen. Seit Gerda von ihrem Vater zur Matura ein Auto versprochen wurde, wenn sie in Englisch ein „Sehr gut“ schafft, lernt Gerda jeden Tag zwei Stunden Englisch. Ihr Vater ist sehr froh, dass seine Tochter so hoch motiviert ist. Oder einfacher bzw. für eine mündliche Prüfung: Erklären Sie „Extrinsische Motivation“ anhand eines Beispiels. |
1.3 Exkurs: Übergang von Wissensfragen auf Verständnisfragen im MC-Format
Anhand des oben gezeigten Beispiels soll exemplarisch für eine Multiple-Choice-Frage gezeigt werden, wie man eine Wissensfrage in eine Verständnisfrage umformulieren kann.
Extrinsische Motivation ist eine … 1) Möglichkeit eigene Motive auf andere zu übertragen. |
Wenn man die Prüfungsfrage als konkretes Beispiel formuliert, müssen die Studierenden das Konzept „extrinsische Motivation“ verstanden haben um sie beantworten zu können.
Seit Gerda von ihrem Vater zur Matura ein Auto versprochen wurde, wenn sie in Englisch ein „Sehr gut“ schafft, lernt Gerda jeden Tag zwei Stunden Englisch. Ihr Vater ist sehr froh, dass seine Tochter so hoch motiviert ist. 1) Extrinsische Motivation |
Anwenden
Das Erlernte (angeeignetes und verstandenes Wissen) soll in konkreten Situationen angewandt werden können. „Anwendung“ unterscheidet sich von „Verständnis“ insofern, als Studierende nicht nur zeigen, dass sie beispielsweise Prinzipien grundsätzlich benutzen können, sondern darüber hinausgehend in konkreten Situationen richtig benutzen.
Anwenden: Beispiele für die Formulierung von Studienzielen und Prüfungsfragen | ||||||||||||||||||||
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Mögliche Studienziele
Mögliche Prüfungsfrage Studienziel: Studierende können grundlegende statistische Berechnungen bei einer konkreten Fragestellung anwenden. Bei einer Statistikprüfung haben Studierende folgende Punkte erreicht:
Bestimmen Sie die den Modalwert, den Median, das arithmetische Mittel, die Varianz und die Standardabweichung. Für eine MC-Frage könnte hier jeder Wert einzeln abgefragt werden: |
Analyse
Das vorgegebene Material wird in seine wesentlichen Teile zerlegt und Beziehungen zwischen den Teilen sollen erkannt werden. Bedeutungen und Aussagen einer Information sollen ermittelt werden.
Analyse: Beispiele für die Formulierung von Studienzielen und Prüfungsfragen |
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Mögliche Studienziele
Mögliche Prüfungsfrage |
Kreieren/Gestalten/Synthese
Aus einzelnen Elementen und aus Teilen soll etwas Ganzes oder Neues aufgebaut oder gestaltet werden, indem etwa Untersuchungsdesigns abgewandelt werden oder eine Werbestrategie für ein Unternehmen entwickelt wird.
Kreieren/Synthese: Beispiele für die Formulierung von Studienzielen und Prüfungsfragen |
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Mögliches Studienziel
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Bewertung
Die Güte eines vorgelegten Materials kann beurteilt werden, die Korrektheit eines Materials kann aufgrund der vorhandenen Informationen beurteilt werden, quantitative und qualitative Urteile können getroffen werden, z.B. inwieweit Material und Methoden bestimmte Kriterien erfüllen.
Bewertung: Beispiele für die Formulierung von Studienzielen und Prüfungsfragen |
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Mögliche Studienziele
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Quellen
[1] Bloom, Benjamin S., Hrsg. Taxonomie von Lernzielen im kognitiven Bereich. Weinheim und Basel: Beltz, 1956/1972.
[2] Anderson, Lorin W., und David R. Krathwohl, Hrsg. A Taxonomy for Learning, Teaching, and Assessing: A Revision of Bloom's Taxonomy of Educational Objectives. New York: Longman, 2001.
[3] Walzik, Sebastian. Kompetenzorientiert prüfen. Leistungsbewertung an der Hochschule in Theorie und Praxis. Opladen und Toronto: Verlag Barbara Budrich UTB, 2012.
[4] Bloom, Taxonomie von Lernzielen im kognitiven Bereich [1].
[5] ECTS Leitfaden, Europäische Union, 2015, 23. https://op.europa.eu/de/publication-detail/-/publication/da7467e6-8450-11e5-b8b7-01aa75ed71a1 [Zuletzt aufgerufen am 31.08.2022]
[6] Walzik, Kompetenzorientiert prüfen [3].
Empfohlene Zitierweise
Schott, Reinhard: Konstruktion von kompetenzorientierten Prüfungsfragen. Infopool besser lehren. Center for Teaching and Learning, Universität Wien, November 2017. [https://infopool.univie.ac.at/startseite/pruefen-beurteilen/konstruktion-von-kompetenzorientierten-pruefungsfragen/]
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