Naturwissenschaftliche Laborpraktika leiten und betreuen (3)
Sonja Buchberger
September 2019
Lernen anregen: Worauf kommt es an?
Überblick
1. Neugier wecken durch Kontexteinbindung und Theorie-Praxis-Bezüge
2. Schrittweiser Übergang von relativ enggeführter Anleitung zu
offeneren Versuchen
3. Analytisches Denken durch Fragestellungen anregen
4. Eigenständiges Experimentieren durch prozedurale
Kompetenzen ermöglichen
5. Verständnis für empirische Forschung in den Naturwissenschaften fördern
6. Lernen durch Feedback
1. Neugier wecken durch Kontexteinbindung und Theorie-Praxis-Bezüge
Studienabbrecher/innen in den Naturwissenschaften nennen oft unklare Bezüge zwischen experimenteller Tätigkeit und Konzepten als Abbruchgründe.[1] Theorie-Praxis-Zusammenhänge (z.B. in Form der Zusammenhänge zwischen Praktikum und Vorlesung) sind für Studierende oft schwer zu begreifen. Gleichzeitig gerät das Wecken von Neugier in so manchem Praktikum recht kurz.[2] Es kann für Studierende äußerst motivierend sein, wenn Sie als Lehrperson weitere Bezüge thematisieren und auch aktuelle Themen einbringen – sei es aus der Alltagswelt oder aktuellen Forschung. Vielleicht gibt es auch spannende historische Anekdoten zu bestimmten Experimenten. Dieses Kontextwissen hilft Studierenden, die Versuche als sinnvoll zu erkennen.[3]
2. Schrittweiser Übergang von relativ enggeführter Anleitung zu offeneren Versuchen
Zu Studienbeginn müssen Studierende zunächst grundlegende experimentelle Fähigkeiten und Fertigkeiten erwerben. Werden diese einmal beherrscht, fördert es den Lernprozess, nicht ausschließlich mit detaillierten Versuchsanleitungen („Kochrezepten“) zu arbeiten, sondern Experimente bewusst zu öffnen. Da experimentelles Arbeiten nicht nur handwerklich ist, sondern Versuchsdesign, Hypothesengenerierung etc. umfasst, müssen Studierende ausreichend Gelegenheit bekommen, diese komplexeren Herausforderungen zu üben. Die Trainingsmöglichkeiten sind wichtig für die Berufsvorbereitung und das Verfassen der Bachelor- und Masterarbeiten. Hier sind Studierende gefordert, eigenständiges Arbeiten unter Beweis zu stellen und fragestellungs- und zielorientiert Komponenten am Experiment eigenständig zu verändern (s. Expertinneninterview mit Katharina Groß).[3]
3. Analytisches Denken durch Fragestellungen anregen
Oft sind Studierende im Praktikum „datengetrieben“ [Séré, 635] und darauf fokussiert, was der nächste Schritt in der Versuchsanleitung ist. Nutzen Sie die Möglichkeit, während des Praktikums regelmäßig Fragen an die Studierenden zu richten, die ihr analytisches und versuchsstrategisches Denken fordern. Dafür eignen sich unterschiedliche Fragearten:
- Fragen nach Beobachtungen und ersten Analysen: Welche Muster erkennen Sie? Worauf könnten sie hindeuten?
- Fragen nach Ergebnisvorhersagen: erste Hypothesen und Begründungen für Annahmen formulieren
- Hypothetische Fragen – mögliche Beispiele: Was denken Sie würde passieren, wenn Sie die Temperatur erhöhen? Was wäre anders, wenn Sie das Experiment auf 2000 Höhenmeter durchführen würden?
- Fragen nach Implikationen: Was bedeutet dieses Ergebnis für…?
- Wenn die Versuchsergebnisse unerwartet sind, bitten Sie die Studierenden um Hypothesen über mögliche Gründe für die Abweichung.
Auch wenn Studierende Ihnen Fragen stellen, kann das ein Anlass für (gemeinsames) Nachdenken sein. Es ist wichtig, einen Mix an Förderung anzubieten und situationsabhängig zu reagieren. Mögliche Reaktionen sind:
- Beantwortung der Frage;
- Zurückspielen an die Studentin bzw. den Studenten: Es ist wichtig, Studierenden zu verdeutlichen, dass man nicht zurückfragt, um sie zu prüfen oder gar bloßzustellen, sondern um ihr Denken anzuregen und ihre Fähigkeiten zu entwickeln.
- Weitergeben der Frage an alle Studierenden, um gemeinsam darüber zu sprechen.
4. Eigenständiges Experimentieren durch prozedurale Kompetenzen ermöglichen
Damit Studierende zunehmend eigenständig experimentell arbeiten können, müssen sie Versuchsabläufe, Vorgangsweisen und deren Auswahl beherrschen. Oft lernen Studierende dies nur über „Learning by Doing“. Aus der Forschung weiß man jedoch, dass dies nicht sehr effektiv ist – und Lernen deutlich schneller gelingen kann, wenn Lehrende prozedurale Vorgänge im Labor stärker thematisieren.[5] Erklären Sie, warum Sie sich zur Veranschaulichung unterschiedlicher Phänomene für eine bestimmte methodische Verfahrensweise entschieden haben – und gegen mögliche andere. Studierende schätzen diesen Blick hinter die Kulissen der Versuchsauswahl.[6]
Praxistipp
Als Trainingsmöglichkeit können Sie den Studierenden beispielsweise drei Versuchsarten anbieten, von denen sie eine begründet wählen sollen.[7]
5. Verständnis für empirische Forschung in den Naturwissenschaften fördern
Einige Lehrende beobachten, dass Studierende beim Verfassen des Versuchsprotokolls nicht verstehen, warum eine Ergebnis- und Fehlerdiskussion wichtig ist. Das kann darauf hindeuten, dass Studierende ein mangelndes Verständnis des empirischen Charakters von Naturwissenschaften haben. Genau dies zählt jedoch zu den wichtigen Lernpotenzialen von Laborpraktika. Als Lehrperson können Sie darauf reagieren, indem Sie bewusst die Frage an die Studierenden richten: „Warum benötige ich einen Messwert, wenn ich einen Theoriewert habe?“ Dadurch eröffnet sich für Sie die Möglichkeit, über das Datenverständnis der Studierenden zu sprechen und erkenntnistheoretische Unsicherheit im empirischen Arbeiten zu thematisieren. Versuchen Sie, die Weiterentwicklung des Wissenschaftsverständnisses Ihrer Studierenden mitzuverfolgen.
6. Lernen durch Feedback
Viel Lernpotenzial liegt in den Rückmeldungen auf erbrachte Leistungen, wenn sie konkrete Verbesserungsmöglichkeiten aufzeigen und von Studierenden in Folgeaufgaben bereits berücksichtigt werden sollen (s. Feedback durch Lehrende). Im Praktikum betrifft das vor allem das experimentelle Arbeiten und die Laborprotokolle. Während Feedback auf praktisches Arbeiten oft ad hoc und mündlich passiert, verfassen viele Lehrende auf schriftliche Arbeiten schriftliches Feedback. Die Rückmeldungen müssen hier nicht sonderlich umfangreich sein. Beschränken Sie sich beispielsweise auf die drei wichtigsten Punkte. Studierende sollten Ihr Feedback rechtzeitig erhalten, sodass sie es im nächsten Protokoll bereits umsetzen. Auch angeleitetes Peer-Feedback auf ein Versuchsprotokoll ist gut durchführbar (s. Peer-Feedback auf schriftliche Arbeiten). Unabhängig von der Gruppengröße eignet sich im Praktikum regelmäßiges Gruppenfeedback, wenn Sie verbreitete Missverständnisse der gesamten Gruppe rückmelden.
Weiterlesen
Themenübersicht „Naturwissenschaftliche Laborpraktika leiten und betreuen“
Quellen
[1] Nilson, Linda B. „Problem Solving in the Sciences“. In Teaching at Its Best: A Research-Based Resource for College Instructors, 3. Auflage, 199-207. San Francisco: Jossey-Bass, 2010.
[2] Rehfeldt, Daniel. Erfassung der Lehrqualität naturwissenschaftlicher Experimentalpraktika. „Studien zum Physik- und Chemielernen“, herausgegeben von H. Niedderer, H. Fischler, und E. Sumfleth, Band 246, Berlin: Logos Verlag Berlin, 2017.
[3] Ein paar Beispiele, wie Praxisbezüge gelingen können, finden Sie im Video „Laborlehre und praktischer Übungsbetrieb: Wie machen Sie das?“
[4] Für ein paar Praxisbeispiele, wie die frage- und entdeckungsorientierten Anteile von Laborpraktika gesteigert werden können, siehe Coppola, B.P. (2011). „Laboratory Instruction: Ensuring an Active Learning Experience”. In McKeachie’s Teaching Tips: Strategies, research and theory for college and university teachers., herausgegeben von Marilla D. Svinicki, und Wilbert J. McKeachie, 13. Auflage, Belmont, CA: Wadsworth Cengage Learning, 280-289. Coppola baut hier auf Domins klassischer Taxonomie von Laborlehrstilen auf: Domin, Daniel S. „A Review of Laboratory Instruction Styles“. Journal of Chemical Education 76, Nr. 4 (April 1999): 543-547.
[5] Séré, Marie-Geneviève. „Towards Renewed Research Questions from the Outcomes of the European Project Labwork in Science Education“. Science Education 86, Nr. 5 (2002): 624-644, hier: S. 635-638.
[6] Welzel, Manuela, Kerstin Haller, Milena Bandiera, Dorte Hammelev, Panagiotis Koumaras, Hans Niedderer, Albert C. Paulsen, Karine Bécu-Robinault, und Stefan von Aufschnaiter. „Teachers‘ objectives for labwork. Research tool and cross country results“. Working paper 6, Labwork in Science Education Project, European Commission, Project PL 95-2005, 1998.
[7] Séré, „Towards Renewed Research Questions from the Outcomes of the European Project Labwork in Science Education“, 635-638 [5].
Empfohlene Zitierweise
Buchberger, Sonja: Naturwissenschaftliche Laborpraktika leiten und betreuen (3). Lernen anregen: Worauf kommt es an?. Infopool besser lehren. Center for Teaching and Learning, Universität Wien, September 2019. [https://infopool.univie.ac.at/startseite/lv-typen-disziplinen/naturwissenschaftliche-laborpraktika-leiten-und-betreuen/3-lernen-anregen/]
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