Du oder Sie?

Sonja Buchberger

März 2018

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Im Laufe der 1960er Jahre setzte sich das Du unter Studierenden an deutschsprachigen Hochschulen weitgehend durch.[1] Aber wie verhält es sich mit der Anrede in der Beziehung Lehrende/Studierende? Gerade Personen, die neu in der universitären Lehre sind, fällt zu Semesterbeginn die Entscheidung zwischen Du und Sie oft schwer. Sie bedarf viel Fingerspitzengefühl, da über die Anredeform immer zwischenmenschliche Beziehungen (inkl. Grad an Vertrautheit bzw. Distanz) ausgehandelt werden.[2] Das hierarchische Verhältnis zwischen Lehrenden und Studierenden macht die Angelegenheit dabei noch komplexer.

1. Empfehlungen vorweg

Stimmigkeit aus eigener Sicht (eigene Disposition)

Es empfiehlt sich, die Anredeform zu verwenden, mit der man sich im Lehrkontext wohl fühlt und die man auch imstande ist beizubehalten.

Berücksichtigung des Umfelds

  • Berücksichtigen Sie, wie stimmig Ihre Entscheidung mit dem weiteren Umfeld ist, in dem Ihre Lehrveranstaltung stattfindet. Es geht neben Ihrer eigenen Disposition (s.o.) auch um Anredekonventionen und Erwartungshaltungen auf Seiten Ihrer Studierenden. Das setzt voraus, dass Sie sich mit derartigen Konventionen und Graden an Formalität auseinandergesetzt haben.
  • Gerade Lehrende, die Deutsch als Fremdsprache erlernt haben, berichten, dass sie weniger als andere einschätzen können, ob Duzen oder Siezen in einer bestimmten Situation angebracht ist. Hier kann es helfen, KollegInnen anzusprechen und sie nach ihrer Einschätzung zu fragen.
  • Beachten Sie auch, dass Sie immer auf Studierende oder KollegInnen treffen werden, die Ihre persönliche Auffassung zur Du/Sie-Frage nicht teilen. Auch können Signale, die Sie mit einer bestimmten Anredeform senden möchten, anders verstanden werden als von Ihnen beabsichtigt.

2. Entscheidungshilfe: einige Überlegungen

Lehrende nennen ganz unterschiedliche Begründungen, warum sie sich für die eine oder andere Variante entscheiden. Wir haben hier eine Sammlung an Überlegungen zusammengestellt, die Ihnen Orientierung geben kann. Zur Entscheidungsfindung können Sie sich fragen:

  • Möchte ich siezen, weil…
    • ich darin eine Form des Respekts sehe? Gerade jungen Studierenden gegenüber bevorzugen mehrere Lehrende die übliche Höflichkeitsanrede, um zu signalisieren, dass sie als Erwachsene ernst genommen werden.[3] Um eine freundliche Atmosphäre herzustellen, nutzen sie (statt des Du-Angebots) bewusst andere Signale, wie Tonfall, Gesichtsausdruck, Blickkontakt, Gestik oder ehrlich kommuniziertes Interesse an den Studierenden.
    • ich als Nachwuchslehrperson meine eigene (neue) Position als Lehrveranstaltungs-Leitung sprachlich unterstreichen möchte? Siezen kann Sie in Ihrer Rollenfindung unterstützen – und Ihre Rolle auch gegenüber (fast gleichaltrigen bis älteren) Studierenden verdeutlichen, wenn Sie befürchten, aufgrund Ihres jungen Lebensalters als Lehrveranstaltungs-Leitung nicht ernst genommen zu werden.
    • ich im Hinblick auf mögliche schwierige Gesprächssituationen eine gewisse Distanz (auch sprachlich) wahren möchte? In Konflikten oder Prüfungssituationen erleben manche Lehrende Siezen als angenehmer. In einer Runde, die sich siezt, lässt es sich oft respektvoller und sachbezogener streiten.[4]
    • ich Sorge habe, dass der Umgang ins Kumpelhafte abgleitet oder das Du als peinlich bzw. aufdringlich empfunden wird?
    • ich das Du-Angebot später kaum rückgängig machen kann?
    • Studierende das Du-Angebot (zumal einer Lehrperson) kaum ablehnen können? (Für Möglichkeiten, bei denen Studierende doch ausdrücken können, dass sie lieber beim Sie bleiben, s.u.)
  • Schaffe ich es zu siezen, wenn…
    • ich vor kurzem noch selbst als TutorIn oder StudienassistentIn mit allen Studierenden per du war?
    • ich auch in anderen Lebenssituationen oft ins Du „verfalle“?
  • Möchte ich duzen, weil…
    • ich meinen Wunsch ausdrücken möchte, mit Studierenden auf Augenhöhe zu kommunizieren? Natürlich sorgt das Du nicht automatisch für flache Hierarchien, aber es kann als Angebot eines weniger hierarchischen Umgangs und als Beziehungsangebot verstanden werden. Oder zumindest als Hoffnung, dass sich die Beziehung in diese Richtung entwickelt.
    • ich mit ein paar Studierenden bereits per du bin – und sonst eine Ungleichheit in die Anredeform käme? Wenn Sie mit Ihrem Publikum teils per du, teils per Sie sind, empfiehlt sich ansonst die förmliche Anrede für die Gesamtgruppe. Dritte können ein Duz-Verhältnis zu bestimmten Teilnehmenden jedoch missverstehen. Es demonstriert eine persönliche Beziehung zwischen der Lehrperson und einem Studenten oder einer Studentin – weshalb manche Lehrende in solchen Fällen allen kollektiv das Du anbieten.
    • die meisten oder alle KollegInnen am Institut per du sind? Studierende wären in diesem Fall die einzigen, die gesiezt werden.
  • Schaffe ich es zu duzen, wenn manche Studierende u.U. Jahrzehnte älter sind als ich selbst? Es passiert manchen Lehrenden in unbedachten Momenten (z.B. in der Moderation einer Diskussion), dass sie ältere Studierende siezen, obwohl das Du vereinbart war. Diese sprachlich zum Ausdruck gebrachte Unterscheidung nach Alter ist den betroffenen Studierenden in vielen Fällen nicht angenehm. Das unbewusste Siezen von älteren Personen zeigt, wie inflexibel wir in der Wahl der Anrede sind. Gewohnte Höflichkeitsformen sind tief emotional verankert.[5] Diese Inflexibilität betrifft auch Studierende (siehe nächster Punkt).
  • Schaffen es die Studierenden, mich zu duzen – trotz meiner Rolle als Lehrperson und trotz Altersabstand? Andernfalls endet es womöglich in fehlender Gegenseitigkeit, wenn die Lehrperson duzt, manche Studierende jedoch weiterhin siezen – obwohl das Du „ausgemacht“ war. Diese Situation kann zu einer Reflexion über das eigene Lebensalter führen: Mit Ende 20 oder 30 wollen manche noch von den Studierenden geduzt werden – mit der Begründung, dass der Altersabstand doch recht gering sei. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Studierende unter 20 das genauso wahrnehmen.
  • Schaffe ich es, mir die Vornamen der Studierenden zu merken, nachdem ich mir bereits die Nachnamen eingeprägt habe? Wenn man prinzipiell bemüht ist, die Namen der Studierenden zu kennen, bedeutet ein Wechsel vom Sie zum Du während des laufenden Semesters, dass man mit dem Namen-Merken wieder von Neuem beginnen muss.
  • Schaffe ich es, mich nach Ende der Lehrveranstaltung zu erinnern, mit wem ich per du bzw. per Sie bin/war, wenn ich der Person am Gang begegne?

3. Möglichkeiten, ein Du-Angebot wertschätzend abzulehnen

Ein Du-Angebot wird oft als Angebot von Nähe verstanden – und kann daher nur schwer abgelehnt werden, ohne dass sich das Gegenüber beleidigt oder gekränkt fühlt. Wenn Sie Ihren Studierenden das Du vorschlagen möchten, geben Sie besonders darauf Acht, ihnen tatsächlich die Chance zu geben, ohne Gesichtsverlust oder Befürchtungen von negativen Folgen abzulehnen. Mögliche Vorgangsweisen und Formulierungen sind:

  • „Wir können gerne per Du sein, wenn Sie wollen. Wenn Sie lieber beim Sie bleiben möchten, habe ich dafür natürlich Verständnis.“ Möglicher Zusatz: „Bitte schicken Sie mir in diesem Fall einfach eine E-Mail bis nächste Woche. Wenn ich bis dahin keine Nachricht erhalten habe, nehme ich das als Zeichen, dass Duzen für alle in Ordnung geht.“
  • Wenn Sie in Ihrer ersten Lehrveranstaltungs-Einheit Namensschilder schreiben lassen, können Sie darauf hinweisen, dass Sie Vornamen als Zeichen verstehen, dass die Person geduzt werden möchte. Nachnamen sind dementsprechend ein Zeichen, dass Siezen bevorzugt wird.

Zumeist wird das Du von ranghöheren oder älteren Personen vorgeschlagen. Das betrifft in den meisten Fällen auch das Verhältnis Lehrende/Studierende, wo Studierende selten von sich aus die Initiative ergreifen und das Du anbieten. Wenn dies dennoch passiert und Sie als Lehrperson lieber beim Sie bleiben möchten, empfiehlt sich eine allgemeine Erklärung, die möglichst wenig personenbezogen ist. Eine mögliche Formulierung lautet:

  • „Vielen Dank. Aber mit meinen Studierenden bleibe ich für gewöhnlich lieber beim Sie.“

Auf ähnliche Weise können Lehrende verfahren, wenn Sie von Studierenden Freundschaftsanfragen auf sozialen Netzwerken (privater oder beruflicher Natur) erhalten – und diese höflich ablehnen möchten.[6]

4. Sonderformen

Manche Personen möchten in ihrer Lehre gerne Anredeformen verwenden, die ihnen selbst (insbesondere aus Deutschland) vertraut sind. Vielen Studierenden an der Universität Wien sind sie jedoch unbekannt und stoßen eher auf Unverständnis. Daher empfiehlt sich eine kurze Erklärung, wenn Sie diese Anredeformen vorschlagen. Dazu zählen:

  • Das „Arbeits-Du“ ist ein zeitlich begrenztes Du-Angebot, das nach Ende der Lehrveranstaltung erlischt.
  • Das sog. „Hamburger Sie“ ist eine Kombination aus Siezen und der Verwendung von Vornamen.

5. Gute Nachricht zum Schluss

Sollten Sie die eigene Du/Sie-Entscheidung tatsächlich bereuen, lautet die gute Nachricht in der universitären Lehre: Sie haben im nächsten Semester eine neue Chance und können anders vorgehen – insofern nicht dieselben Studierenden an Ihren Lehrveranstaltungen teilnehmen.

6. Literaturtipp

Für eine kompakte Einführung in die Debatte, einschließlich der geschichtlichen Entwicklung der Anredeformen und -probleme im Deutschen, siehe „Duzen Sie noch, oder siezt du wieder?“ (Uwe Schmitt, Die Welt, 2016).

Quellen

[1] Kotthoff, Helga. „Aspekte der Höflichkeit im Vergleich der Kulturen“. In: Muttersprache 4 (2003), 289-307.

[2] Linke, Angelika, und Juliane Schröter. „Sprache in Beziehungen – Beziehungen in Sprache: Überlegungen zur Konstitution eines linguistischen Forschungsfeldes“. In: Angelika Linke und Juliane Schröter (Hrsg.) Sprache und Beziehung. Berlin: De Gruyter, 2017, S. 1-31.

[3] Vgl. Linke und Schröter. „Sprache in Beziehungen“. [2]

[4] Vgl. Interview mit Soziologe Tilmann Allert in Uwe Schmitt „Duzen Sie noch, oder siezt du wieder?“. Die Welt, 2016, www.welt.de/wissenschaft/article156114627/Duzen-Sie-noch-oder-siezt-du-wieder.html [letzter Zugriff 12.11.2019].

[5] Kotthoff. „Aspekte der Höflichkeit“. [1]

[6] Linke und Schröter. „Sprache in Beziehungen“. [2]

Empfohlene Zitierweise

Buchberger, Sonja: Du oder Sie?. Infopool besser lehren. Center for Teaching and Learning, Universität Wien, März 2018. [https://infopool.univie.ac.at/startseite/universitaeres-lehren-lernen/du-oder-sie/]

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