Selbstgesteuertes Lernen

Gisela Kriegler-Kastelic

März 2018

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1. Worum geht es?

Ein wesentlicher Anteil des Studierens findet außerhalb der Präsenzeinheiten statt, daher ist die eigenverantwortliche Gestaltung von Lernprozessen eine wichtige Grundlage für erfolgreiches Studieren. Dieser Beitrag gibt einen Einblick in die Prozesse des selbstgesteuerten Lernens[1] und zeigt Maßnahmen für Lehrende auf, um Studierende bei der Gestaltung ihrer Lernprozesse zu unterstützen[2].

1.1. Was ist Lernen?

Lernen bedeutet eine dauerhafte Veränderung des Verhaltens aufgrund von individuellen Erfahrungen[3]. Damit neue Inhalte verstanden, behalten und angewendet werden können, müssen sie mit bestehenden Inhalten verknüpft werden. Je besser diese alten und neuen Inhalte vernetzt sind, desto besser funktionieren die Abrufprozesse.

1.2. Was ist selbstgesteuertes Lernen?

Selbstgesteuertes Lernen ist ein Zusammenwirken von Wollen, Wissen und Können[4]. Der/die Lernende muss bereit und fähig sein, eigenständig und eigenverantwortlich Planung, Ausführung und Bewertung des Lernens zu übernehmen[5]. Damit die Studierenden ihr Lernen eigenverantwortlich gestalten können, benötigen sie eine Reihe an Kompetenzen, die nicht von Beginn an vorausgesetzt werden können. Die Studierenden müssen nicht nur in der Lage sein, sich eigenständig Ziele zu setzen und die nötigen Lernschritte zu planen, sondern auch über ein Repertoire an Lernkompetenzen (wie bspw. Anstrengungs-, Zeit- und Wissensmanagement) verfügen sowie ihren Lernfortschritt bewerten können.

2. Wie kann ich als Lehrende/r selbstgesteuertes Lernen fördern?

Es gibt drei Ebenen, an denen Sie ansetzen können[6]

  1. Informationsverarbeitungsstrategien (kognitive Prozesse): z.B. Wiederholen, Zusammenfassen, Hervorheben, Überprüfen, Vermeiden von Ablenkungen etc.
  2. Metakognitive Strategien: z.B. Organisation des Lernortes, störende Einflüsse abschirmen, bewusster Umgang mit der eigenen Aufmerksamkeit (Nutzung von Pausen), Wissen über Lernstrategien etc.
  3. Motivationale Aspekte: Motivationssteuerung, Aufrechterhaltung von Lernprozessen.

Damit Sie Ihre Studierenden gezielt beim Aufbau dieser Kompetenzen unterstützen können, ist es hilfreich, sich an den Charakteristika eines guten Lerners/einer guten Lernerin zu orientieren[7]:

Personen, die gut lernen …

  • sind gut darin, sich eigenständig Ziele zu setzen,
  • haben die Fähigkeit zur Selbstreflexion,
  • können ihr Vorwissen gut nutzen,
  • stimmen ihre Lernstrategien auf fachspezifische Gegebenheiten ab,
  • prüfen ihren Lernfortschritt regelmäßig
  • und sind in der Lage, sich immer wieder neu zu motivieren.

2.1. Eigenständige Zielsetzung fördern

Nicht alle Studierenden sind sich über die Lehr/-Lernziele einer Lehrveranstaltung im Klaren. Sie können Ihre Studierenden folgendermaßen unterstützen:

  • Zu Beginn steht die Kommunikation der Lehr-/Lernziele einer Lehrveranstaltung an die Studierenden.
  • Um den Sinn und Zweck von Aufgabenstellungen, die die Studierenden im Selbststudium bearbeiten sollen, nachvollziehbar zu gestalten, sollten Aufgabenstellungen eng mit den Inhalten der Lehrveranstaltung abgestimmt sein und genau beschrieben werden (siehe Eintrag „Aufgabenstellungen").
  • Studierende sollen für sich persönlich herausfinden, welche Themen in der Lehrveranstaltung für sie interessant oder nützlich sein könnten, da eigene Ziele die Motivation stärken und dazu beitragen, den Lernprozess aufrecht zu erhalten.
  • Eine Diskussion im Plenum über zukünftige Schwerpunkte der Lehrveranstaltung und wie wichtig diese jeweils für die Studierenden sind, kann helfen, eine gute Basis für das Setzen eigener Ziele zu legen.

2.2 Selbstreflexion fördern

Die Reflexion über das eigene Denken bzw. das Wissen über das eigene Wissen sind entscheidend für einen erfolgreichen Lernprozess. Um die metakognitiven Fähigkeiten Ihrer Studierenden zu trainieren und sie zur Selbstreflexion anzuregen, können Sie ihnen folgende Fragen vorgeben:

  • Wie viele Stunden in der Woche lernen Sie für diese Lehrveranstaltung?
  • Wie bereiten Sie sich vor?
  • Machen Sie sich Notizen während des Lesens? Machen Sie sich Notizen während der Lehrveranstaltung?
  • Lesen Sie Ihre Notizen oder bearbeiten Sie sie nach? Wann? Wie?
  • Prüfen Sie regelmäßig ob Sie den Stoff verstehen?

2.3. Vorwissen aktivieren

Vorwissen ist der bedeutsamste Faktor für das Zustandekommen von Problemlöse- und Lernleistungen, daher ist die Aktivierung vorhandenen Wissens wesentlich für erfolgreiches Lernen[8]. Bei einfachen Anforderungen kann geringes Vorwissen durch gutes Allgemeinwissen kompensiert werden. Der Erwerb von komplexen Wissen ist aber von der Verfügbarkeit relevanter Vorkenntnisse abhängig. Sie können Lernprozesse gezielt unterstützen, indem Sie das Vorwissen Ihrer Studierenden bewusst aktivieren[9]. Folgende Optionen stehen Ihnen dafür bspw. zur Verfügung:

  • Beginnen Sie die Lehrveranstaltung mit einem Mappingverfahren (z.B. Mindmap). Die grafische Darstellung von Wissensstrukturen und Begriffsnetzen hilft Ihren Studierenden beim Einordnen neuen Wissens.
  • Holen Sie von den Studierenden Erfahrungsberichte zum Thema ein.
  • Lassen Sie Ihre Studierenden zu vorgegebenen oder zu Hause gelesenen Texten Fragen, Hypothesen und Beispiele generieren, um eigenständige Überlegungen zu fördern und die kritische Reflexion von Aufgabenstellungen zu unterstützen.
  • Verwenden Sie zum Erklären neuer Inhalte bekannte Konzepte oder Analogien, um den Aufbau mentaler Modelle zu fördern (z.B. Vogel/Flugzeug).

2.4. Lernstrategien anwenden können

Viele Studierende wenden aus Gewohnheit oder mangelndem Wissen jene Lernstrategien an, die sie sich in der Schule angeeignet haben. Nicht immer sind diese Strategien jedoch für das universitäre Lernen geeignet. Daher ist es wichtig, den Studierenden die Unterschiede zwischen schulischem und universitärem Lernen heranzuführen und auch auf die jeweiligen fachspezifischen Besonderheiten hinzuweisen. Helfen kann dabei folgendes:

  • Vorschau auf Lernmaterialien geben und auf (fachspezifische) Besonderheiten von Texten und Materialien hinweisen;
  • Beispiele von studentischen Arbeiten zeigen, die Dos and Dont´s demonstrieren;
  • Beispiele für Testfragen zur Verfügung stellen;
  • auf Fachterminologie hinweisen (Glossar etc.);
  • (fachspezifische) Herangehensweise an eine Aufgabe erklären.

2.5. Lernfortschritt prüfen

Oft wird erst bei der Prüfung klar, wo Verständnisprobleme auftreten. Den studentischen Lernfortschritt regelmäßig zu überprüfen und den Lernstand rückzumelden ist besonders beim selbstgesteuerten Lernen wichtig, um rechtzeitig Wissens- und/oder Verständnislücken zu identifizieren und die Studierenden in ihrem Kompetenzerleben zu unterstützen. Helfen kann dabei folgendes[10]:

  • Am Beginn der LV einige Studierende den in der Selbstlernphase gelernten Stoff kurz zusammenfassen lassen;
  • Studierende sich gegenseitig das Gelernte in ihren eigenen Worten erklären lassen;
  • Studierende anleiten, den Lernprozess in überschaubare Einheiten einzuteilen und für sich selbst regelmäßige Kontrollen des Lernfortschritts durchzuführen (z.B. am Ende des Kapitels);
  • Studierende animieren, Lerngruppen und Peer-Tutoring zu nutzen, um Lernen auf gleicher Augenhöhe zu ermöglichen;
  • Tests als Mittel zur Sicherung des Gelernten einsetzen und zur Kommunikation der Lernergebnisse zur Lernerfolgskontrolle nutzen (z.B. Vorgabe von Lernzielen in Kombination mit Zeitplänen);
  • Interaktive Lehrmethoden einsetzen (z.B. Peer Instruction, Think-Pair-Share), um Verständnisschwierigkeiten bei den Studierenden frühzeitig zu erkennen.

2.6. Motivation fördern

Welche Ziele sich Studierende setzen und welchen Aufwand sie bereit sind zu investieren, hängt letztendlich von ihrer Motivation ab. Die Motivation des/der Lernenden ist zugleich Voraussetzung und Folge des selbstgesteuerten Lernens und wird durch das eigene Kompetenzerleben immer wieder neu befeuert (siehe auch Eintrag „Selbstwirksamkeitserwartungen"). Eine gleichbleibend hohe Motivation können Sie als Lehrende/Lehrender weder voraussetzen noch erzeugen, aber sie können sie unterstützen und zwar indem Sie:

  • Feedback gezielt einsetzen, um das Aufkommen sowie die Aufrechterhaltung von Motivation zu unterstützen (siehe Eintrag „Feedback").  
  • Lernfortschritte sichtbar machen, um den Studierenden Sicherheit über ihr Kompetenzerleben zu vermitteln.

3. Wie kann ich als Lehrende/r Präsenz- und Selbststudium (mit)gestalten?

Präsenz- und Selbststudium sind immer aufeinander bezogene Aktivitäten. Bei einer engen inhaltlichen Abstimmung von Selbstlern- und Präsenzphasen reduzieren sich für die Studierenden die Gelegenheiten, Lernaufgaben aufzuschieben – spätestens dann, wenn in der Lehrveranstaltung die Relevanz des Bearbeitens oder die Konsequenzen des Nichtbearbeitens deutlich werden: Studierende erhalten nicht nur Rückmeldungen zu ihren Aufgaben, sondern die erarbeiteten Inhalte werden auch in die Lehrveranstaltung mit einbezogen (Festigung des erworbenen Wissens durch Lernen und Anwenden)[11]. Bereits bei der Konzeption der Lehrveranstaltung muss also festgelegt werden, wie Präsenz- und Selbststudium ineinandergreifen.

Folgende Leitfragen können bei der Gestaltung helfen[12]:

  • Soll das Selbststudiums vor- oder nachbereitend oder begleitend zur Präsenzlehre stattfinden?
  • Welche Vor- und Nachbereitungsarbeiten finden im Selbst- und welche im Präsenzstudium statt?
  • Wie werden die Lernergebnisse aus der Selbstlernphase in die Präsenzzeit einbezogen?
  • Sollen Studierende bevorzugt alleine, zu zweit oder in Gruppen lernen?
  • Welche Lehr-/Lernmethoden eignen sich dafür? (z.B. Einsatz von digitalen Lernmaterialien wie Vorlesungsaufzeichnungen, Erklärvideos, moderierte Diskussionsforen). 

Quellen

[1] Synonym verwendete Begriffe: Selbstreguliertes Lernen, Autonomes Lernen, Selbstorganisiertes Lernen, Selbstverantwortliches Lernen.

[2] vgl. Universität Wien, Universität Wien 2025 Entwicklungsplan, S. 35f. https://www.univie.ac.at/rektorenteam/ug2002/entwicklung.pdf [letzter Zugriff 22.10.2019].

[3] Wild, Elke und Jens Möller, Hrsg. Pädagogische Psychologie. Heidelberg: Springer, 2015.

[4] vgl. Straka, Gerald A. „Selbstgesteuertes Lernen - Vom ‚Key West-Konzept‘ zum ‚Modell motivierten selbstgesteuerten Lernens‘“. In (HG), in Arbeit, Lernen und Organisation, herausgegeben von Harald Geißler, 59-78. Weinheim: Deutscher Studien Verlag, 1996.

[5] vgl. Alexandra Sindeler. Etablierung einer neuen Lernkultur. Modelle medienbasierter Lernarrangements zur Förderung selbstregulierten Lernens im Kontext der Organisation. Wien: LIT Verlag, 2004.

[6] Aufzählung orientiert an Zumbach, Jörg und Hermann Astleitner. Effektives Lernen an Hochschulen. Ein Handbuch zur Hochschuldidaktik. Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer, 2016.

[7] Svinicki, Marilla D. und Wilbert J. Mc Keachie. McKeachie’s Teaching Tips. Teaching Students how to Become More Strategic and Self-Regulated Learners. Belmont: Wadsworth, 2014.

[8] Hattie, John. Lernen sichtbar machen, 3. Aufl. Baltmannsweiler: Schneider-Verlag Hohengehren, 2015.

[9] Heinz Mandl und Helmut F. Friedrich. Handbuch Lernstrategien. Göttingen: Hogrefe, 2006.

[10] Aufzählung teilweise nach Brinker, Tobina und & Eva-Maria Schumacher. Befähigen statt belehren. Neue Lehr- und Lernkultur an Hochschulen. Bern: Hep Verlag, 2014.

[11] Metzger, Christiane und Johann Haag. „Ich könnte nie wieder zu einem ‚normalen‘ Stundenplan zurück! – Zur Reorganisation der Lehre in einem Bachelor-Studiengang IT Security“. In HDI 2012 – Informatik für eine nachhaltige Zukunft. 5. Fachtagung Hochschuldidaktik der Informatik, herausgegeben von Peter Forbrig, Detlef Rick und Axel Schmolitzky, 67-78. Potsdam: Universitätsverlag Potsdam, 2012.

[12] Angelehnt an Brinker und Schumacher. Befähigen statt belehren. [10]

Empfohlene Zitierweise

Kriegler-Kastelic, Gisela: Selbstgesteuertes Lernen. Infopool besser lehren. Center for Teaching and Learning, Universität Wien, März 2018. [https://infopool.univie.ac.at/startseite/universitaeres-lehren-lernen/selbstgesteuertes-lernen/]

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