Lehre planen (3)

Barbara Louis

Juni 2023

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"Coverage is the enemy" (Herbert A. Simon)[1]

Was kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie an die Planung einer Lehrveranstaltung denken? Oft hat die Antwort mit Inhalten zu tun, die eine LV abdecken soll, begleitet von der Sorge, dass dafür die Zeit nicht ausreicht. Obwohl die Lehr-/Lernziele vieler Lehrveranstaltungen meist sowohl Wissen als auch (unterschiedlich komplexes) Können umfassen, besteht ein häufiger Stolperstein der Planung darin, sich mehr auf die Inhalte zu konzentrieren und weniger auf das Erreichen von Kompetenzen, die Wissen und Können umfassen. In der Praxis kann das dazu führen, dass in LV-Einheiten viele Inhalte behandelt werden, aber zu wenig Zeit und Lerngelegenheiten für komplexere Lehr-/Lernziele veranschlagt wird.

1. Gründe für Stoffreduktion

Durchgenommener Stoff ist nicht notwendigerweise gelernter - oder zumindest gemerkter - Stoff. Wie Sie vielleicht aus eigener Erfahrung wissen, bleibt vieles von dem, was Sie vortragen, bei den Studierenden überhaupt nicht hängen: schafft es nicht in die Notizen der Studierenden oder in die für die Prüfung gelernten Inhalte bzw. gar in ihr Langzeitgedächtnis.[2]

Zu viele Inhalte können sich sogar kontraproduktiv auswirken: Zum einen kann zu viel Information auf einmal die Studierenden kognitiv überfordern und wird dann gar nicht erst aufgenommen (siehe Cognitive Load-Theorie). Zum anderen reduziert zu viel reine Inhaltsvermittlung die Gelegenheiten der Studierenden zur notwendigen aktiven Auseinandersetzung und daher Festigung des Gelernten. Überlegen Sie daher, welche Inhalte wirklich unverzichtbar sind und wie Sie Ihre Studierenden beim Aneignen davon unterstützen können. Eine Möglichkeit dafür, die auch auf Vorlesungen anwendbar ist, wäre z.B. die Inhaltsvermittlung in Selbstlernphasen auslagern (siehe Flipped Classroom) und dafür die Präsenzzeit für Aktivitäten zu nutzen.[3]

Cognitive Load Theory

Sie besagt, dass neue Informationen im Arbeitsgedächtnis verarbeitet werden, das allerdings sehr begrenzt ist; es kann höchstens 7 +/-2 Informationen gleichzeitig verarbeiten.[4] Zudem funktioniert die Informationsverarbeitung je nach Erfahrungsstand unterschiedlich: Expert*innen bündeln Informationen und integrieren dieses in bestehendes Wissen, d.h. ein Bündel ("chunk") an Einzelinformationen belegt dennoch nur einen Platz im Arbeitsgedächtnis. Unerfahrene Studierende oder Noviz*innen in einem Fach können das noch nicht, d.h. sie speichern Informationen eher als getrennte Einheiten ab und können somit viel weniger aufnehmen und verarbeiten.[5]

Orientieren Sie daher bei der Planung die Menge der neuen Inhalte am Wissensstand Ihrer Studierenden, reduzieren Sie soweit wie möglich und schaffen Sie Gelegenheiten, um neues Wissen in bestehendes zu integrieren (siehe Eintrag "Lehrveranstaltungen sequenzieren"). Zudem hilft eine klare Struktur den Studierenden, sich auf die wesentlichen Inhalte konzentrieren können.

Manche Lehrveranstaltungen (z.B. einführende Überblicksvorlesungen) haben das ausdrückliche Ziel, dass sich die Studierenden eine Übersicht über ein Themengebiet erarbeiten und erfordern keine komplexeren Kompetenzen. Hierfür wird von den Studierenden Oberflächenlernen erwartet, d.h. in einer solchen LV haben mehr Inhalte Platz. Charakteristische Lehr-/Lernziele hierfür sind, dass Studierende Inhalte z.B. benennen oder beschreiben können.[6]

Wenn Studierende hingegen bestimmte Inhalte gründlich verstehen und vielleicht auch anwenden können sollen (Lehr-/Lernziele auf höheren kognitiven Taxonomiestufen, z.B. gestalten, berechnen, entwerfen, einschätzen o.Ä.), ist Tiefenlernen gefordert. Dazu benötigen die Studierenden ausreichend Zeit und aktive Bearbeitungsgelegenheiten. Wenn Ihre LV in diese Gruppe fällt (meist handelt es sich dabei um prüfungsimmanente LVs), ist es ratsam, das Stoffvolumen möglichst zu reduzieren und Aktivitäten zur Vertiefung und Auseinandersetzung einzuplanen (z.B. (Gruppen)Aufgaben und Diskussionen in Präsenzeinheiten, aber auch Arbeitsaufträge für das Selbststudium).

Im Sinne des Lernerfolgs Ihrer Studierenden ist es also zielführend, die zentralen Inhalte sorgfältig auszuwählen und mit geeigneten Lehr-/Lernmethoden in der LV zu behandeln.[7] Was einfach klingt, kann allerdings äußerst herausfordernd sein. Egal, wie Sie diesen Auswahlprozess gestalten, orientieren Sie sich stets an den Lehr-/Lernzielen. Wenn es Ihnen leichtfällt, springen Sie gern zum nächsten Kapitel. Ansonsten stellt Ihnen der folgende Abschnitt einige Strategien zur Inhaltsauswahl vor, die sich für Lehrende als hilfreich erwiesen haben.

2. Strategien zur Inhaltsauswahl

Egal, wie man es dreht und wendet, kein*e Lehrende*r wird in der Lage sein, in einer LV alles zu einem Thema zu sagen; nicht einmal alles, was er*sie für wichtig erachtet. Im konstruktivistischen Verständnis des Lehr-/Lerngeschehens ist dies auch nicht nötig. Die Rolle des*der Lehrenden ist nicht, den Studierenden alles Wissenswerte beizubringen, sondern die Lehr-/Lernumgebung so zu gestalten, dass die Studierenden sich die Inhalte bestmöglich aneignen können. Dabei hilft ein Perspektivenwechsel von Quantität zu Qualität.[8] Meist geht es darum, dass die Studierenden die zentralen Konzepte und Grundprinzipien eines Themengebiets meistern sollen, weil sie darauf ihr weiteres Lernen (auch eigenständig) aufbauen.

Um einen Gesamtüberblick zu bekommen, erstellen Sie eine Liste aller Inhalte, die Sie für Ihre LV als wichtig erachten. Wenn Sie eine LV zum ersten Mal planen und unsicher sind, hilft oft ein Blick in ein typisches Lehrbuch (falls vorhanden). Sprechen Sie auch mit Kolleg*innen, die diese oder eine ähnliche LV in der Vergangenheit angeboten haben; vielleicht können Sie auch deren Unterlagen bekommen.

Diese gesammelten Inhalte sind nun die Grundlage, aus der Sie auswählen. Hilfreich dabei ist das Prinzip "weniger ist mehr", eine Beschränkung auf zentrale Inhalte, die bei Studierenden Lernprozesse anregen und ihnen durch diese Reduktion zusätzlichen Freiraum für verschiedene Erarbeitungsweisen der Themen verschaffen soll.[9] Im Folgenden finden Sie mögliche Strategien dafür. Probieren Sie gerne aus, was Sie anspricht und passen Sie die Vorgehensweisen an Ihre eigenen Präferenzen an:

  • Blumenstraußtechnik:[10] Stellen Sie sich vor, die Inhalte sind Blumen in Ihrem Garten und Sie wollen einer lieben Person einen Blumenstrauß daraus mitbringen. Sie werden nicht alle Blumen pflücken, sondern besondere auswählen - und dafür gute Gründe haben. Welche Themen aus Ihrer Liste würden Sie für so einen Strauß pflücken und warum? Wie sieht die Zusammenstellung aus? ·
  • Reisemetapher:[11] Hier denken Sie die Inhaltsauswahl analog zum Packen für eine längere Reise. Sie haben ja schon alles gesammelt und (in Form der Liste) vor sich ausgebreitet, was Sie eventuell brauchen könnten oder mitnehmen möchten. Davon dürfen Sie aber nur so viel packen, wie in zwei Koffer passt. Was darf mit, was muss zu Hause bleiben und warum? Wie auch zuvor die Blumenstraußtechnik verlangt die Reisemetapher einiges an Reflexion und Fachkompetenz, um zu einer begründeten Auswahl zu gelangen.[12]
  • Siebe der Reduktion:[13] Diese Technik arbeitet mit dem Bild von Sieben unterschiedlicher Feinheit. Stellen Sie sich vor, Ihre Inhalte sind Sand, der aus Körnern verschiedener Größen besteht. Je nach Feinheit des Siebes bleibt mehr oder weniger hängen. Wenn Sie sich auf ein paar zentrale Inhalte beschränken möchten und ein sehr grobes Sieb verwenden, was wird hängen bleiben und welche Gestalt haben diese größeren Brocken? Was bei einem mittleren Sieb? Und welche Inhalte und Details würden Sie mit einem feinen Sieb auffangen, wenn Sie etwa mehr Zeit zur Verfügung haben oder ein bestimmtes Thema vertiefen möchten?
  • Minus 25 Prozent: Diese Vorgehensweise mag auf den ersten Blick etwas radikal klingen: Machen Sie einen groben Plan der Inhalte für Ihre LV und streichen Sie dann ein Viertel davon. So schaffen Sie zeitliche Möglichkeiten, damit sich die Studierenden mit diesen wichtigsten Inhalten auseinandersetzen, sie üben und vertiefen können.[14]
  • Pflicht und Kür: Überlegen Sie, welche Inhalte Sie in Ihrer Lehrveranstaltung behandeln möchten, weil sie in dieser Situation wichtig für die Studierenden sind und welche, weil sie Ihnen persönlich am Herzen liegen oder sie Ihrem persönlichen Interessengebiet entspringen. Wenn Sie etwas streichen müssen, nehmen Sie Letzteres aus dem Pflichtprogramm. Das bedeutet nicht, dass Sie diese Themen ignorieren müssen, aber vielleicht könnten es optionale Themen sein (zu denen Studierende etwas arbeiten, wenn sie wählen können) oder Ihr Ass im Ärmel, wenn Sie unverhofft doch mehr Zeit haben als geplant.

Zur Vertiefung

Lehner, Martin. Viel Stoff - wenig Zeit: Wege aus der Vollständigkeitsfalle. Bern, Wien [u.a.]: Haupt, 2006.

Quellen

[1] Eberly Center, Carnegie Mellon University. "Design & Teach a Course," https://www.cmu.edu/teaching/designteach/design/contentschedule.html [letzter Zugriff am 22.02.2023].

[2] Hanstedt, Paul. "If Content Is King, Maybe It's Time for a Little Regicide?" The Teaching Professor, 11. Juli 2022. https://www.teachingprofessor.com/free-article/if-content-is-king-maybe-its-time-for-a-little-regicide/ [letzter Zugriff am 22.02.2023].

[3] Hanstedt, Paul. "If Content Is King, Maybe It's Time for a Little Regicide?" The Teaching Professor, 11. Juli 2022. https://www.teachingprofessor.com/free-article/if-content-is-king-maybe-its-time-for-a-little-regicide/ [letzter Zugriff am 22.03.2023].

[4] Miller, George A. "The magical number seven, plus or minus two: some limits on our capacity for processing information". Psychological Review 63, Nr. 2 (1956): 81-97.

[5] Hawelka, Birgit. "Cognitive Load - warum Lernen manchmal mühsam ist". Lehrblick - ZHW Uni Regensburg (blog), 9. März 2023. https://lehrblick.de/cognitive-load-theory/ [letzter Zugriff am 23.02.2023]; Miller, George A. "The magical number seven, plus or minus two: some limits on our capacity for processing information". Psychological Review 63, Nr. 2 (1956): 81-97; Sweller, John, und Paul Chandler. "Evidence for cognitive load theory". Cognition and Instruction 8 (1991): 351-62. https://doi.org/10.1207/s1532690xci0804_5.

[6] Ulrich, Immanuel. Gute Lehre in der Hochschule: Praxistipps zur Planung und Gestaltung von Lehrveranstaltungen. 2. Aufl. Wiesbaden: Springer Fachmedien, 2020, S. 49; basierend auf Biggs, John, und Catherine Tang. Teaching for Quality Learning at University: What the Student Does. 4. Auflage. Maidenhead & New York: McGraw-Hill, 2011, S. 6.

[7] Siehe auch Ulrich, Immanuel. Gute Lehre in der Hochschule: Praxistipps zur Planung und Gestaltung von Lehrveranstaltungen. 2. Aufl. Wiesbaden: Springer Fachmedien, 2020, S. 49.

[8] Lehner, Martin. Viel Stoff - wenig Zeit: Wege aus der Vollständigkeitsfalle. Bern Wien [u.a.]: Haupt, 2006, S. 33.

[9] Siehe Lehner, Martin. Viel Stoff - wenig Zeit: Wege aus der Vollständigkeitsfalle. Bern Wien [u.a.]: Haupt, 2006, S. 35-36.

[10] Lehner, Martin. Viel Stoff - wenig Zeit: Wege aus der Vollständigkeitsfalle. Bern Wien [u.a.]: Haupt, 2006, S. 43-44.

[11] Davis, Barbara Gross. Tools for Teaching. San Francisco, Calif.: Jossey-Bass, 1993, S. 8.

[12] Lehner, Martin. Viel Stoff - wenig Zeit: Wege aus der Vollständigkeitsfalle. Bern Wien [u.a.]: Haupt, 2006, S. 44.

[13] Lehner, Martin. Viel Stoff - wenig Zeit: Wege aus der Vollständigkeitsfalle. Bern Wien [u.a.]: Haupt, 2006, S. 55-58.

[14] Zitiert in Hanstedt, Paul. "If Content Is King, Maybe It's Time for a Little Regicide?" The Teaching Professor, 11. Juli 2022. https://www.teachingprofessor.com/free-article/if-content-is-king-maybe-its-time-for-a-little-regicide/ [letzter Zugriff am 22.02.2023].

Empfohlene Zitierweise

Louis, Barbara: Lehre planen (3). Inhalte auswählen. Infopool besser lehren. Center for Teaching and Learning, Universität Wien, Juni 2023. [https://infopool.univie.ac.at/startseite/universitaeres-lehren-lernen/lehre-planen/3-inhalte-auswaehlen/]

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