Selbstwirksamkeitserwartungen

Gisela Kriegler-Kastelic

Februar 2018

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1. Worum geht es?

Dieser Beitrag beschäftigt sich mit der Bedeutung von Selbstwirksamkeitserwartungen im Zusammenhang mit universitärem Lernen (und Lehren) und zeigt Maßnahmen auf, um das Erfolgserleben und somit die Selbstwirksamkeit von Studierenden[1] (und Lehrenden) zu fördern.

Der Begriff der Selbstwirksamkeit (oder auch: Selbstwirksamkeitserwartung, Selbstregulation, Kompetenzerwartung) bezeichnet die Überzeugung einer Person, aufgrund der eigenen Fähigkeiten eine bestimmte Anforderungssituation erfolgreich bestehen zu können. Wesentlicher Aspekt hierbei ist die Kontrolle über das eigene Handeln und die Überzeugung, etwas positiv beeinflussen zu können.[2]

Die Förderung von Selbstwirksamkeit ist ein vielversprechender Faktor, um die Potenzialentfaltung von Studierenden und auch Lehrenden zu verbessern.

2. Was ist Selbstwirksamkeit?

Selbstwirksamkeit beschreibt also die Erwartung oder auch die optimistische Überzeugung (Glaube, nicht objektive Ressourcen) einer Person, aufgrund eigener Kompetenzen eine Aufgabe erfolgreich ausführen zu können, d.h. das eigene Verhalten im Hinblick auf selbst gesetzte Ziele steuern zu können.[3] 

Je kompetenter sich eine Person fühlt, desto herausforderndere Ziele wird sie sich setzen und desto größer werden Anstrengung und Ausdauer sein, um diese Ziele zu erreichen. Folgende Aussagen charakterisieren das Konzept (sie enthalten immer einen Bezug zum Selbst):[4]

  • „Schwierigkeiten sehe ich gelassen entgegen, da ich immer auf meine eigenen Fähigkeiten vertrauen kann."
  • „Wenn ein Problem auftaucht, kann ich es aus eigener Kraft meistern.“
  • „Auch bei überraschenden Ereignissen glaube ich, dass ich gut damit zurechtkommen kann.“

Zahlreiche Forschungsergebnisse belegen[5], dass eine hohe Selbstwirksamkeit ein entscheidender Faktor für erfolgreiches Lernen (Handeln) ist und somit auch einen bestimmenden Faktor akademischer Leistung darstellt. Insgesamt zeigt sich auch, dass eine hohe Selbstwirksamkeit Menschen vor Angst und Stress schützt und sie gleichzeitig vor, während sowie nach der Leistungserbringung positiv beeinflusst[6].

Von entscheidender Bedeutung ist, dass Personen mit hoher Selbstwirksamkeit bei gleichem Fähigkeitsniveau bessere Leistungen erbringen als Personen mit niedriger Selbstwirksamkeit:

  • Sie nutzen ihre kognitiven Fähigkeiten besser.
  • Sie setzen sich herausforderndere Ziele.
  • Sie sind in der Lage, ihre eigenen Erfolge und Misserfolge angemessen zu bewerten.
  • Sie zeigen eine höhere Einsatzbereitschaft.
  • Sie weisen eine höhere Frustrationstoleranz auf.

3. Quellen von Selbstwirksamkeit

Gelingendes Lernen hängt also unmittelbar mit einer hohen Selbstwirksamkeitserwartung zusammen. Das Gegenteil davon wäre das Erleben von eigener Hilf- und Wirkungslosigkeit[7], trotz möglicherweise vorhandener Handlungsoptionen. Nach Bandura werden vier Quellen der Selbstwirksamkeitsentwicklung unterschieden:[8]

3.1. Eigene Erfahrungen (Mastery-Erfahrungen)

Die wichtigste Quelle der Selbstwirksamkeit ist das Erleben eigenen erfolgreichen Handelns, weil es den Glauben an die eigenen Fähigkeiten immer wieder neu befeuert. So neigen Menschen mit hoher Selbstwirksamkeit dazu, sich herausfordernde Ziele zu setzen, an die sie durch ihre positive Leistungserwartung auch zuversichtlich herangehen. Menschen mit hoher Selbstwirksamkeit stellen sich eher positive und erfolgreiche Zukunftsszenarien vor als Menschen mit geringer Selbstwirksamkeit. Durch diese Vorgehensweise werden zusätzliche Anhaltspunkte gewonnen, wie herausfordernde Situationen tatsächlich erfolgreich gemeistert werden können. Das führt in weiterer Folge zur Vermeidung von Stress und Ängsten[9] was wiederum eine stärkere Orientierung auf die eigentliche Aufgabe ermöglicht und so erfolgreiches Handeln begünstigt.

Sind einmal starke Selbstwirksamkeitserwartungen aufgebaut, können diese auch durch einzelne Misserfolge nicht zunichtegemacht werden. Hinzu kommt, dass Misserfolge bei hoch selbstwirksamen Personen nicht so leicht zu Enttäuschungen führen, da sie eher mit günstigen (heißt veränderbaren!) Faktoren begründet werden.[10] Die angemessene Interpretation von Erfolg und Misserfolg ist also ein entscheidender Faktor für hohe Selbstwirksamkeit:

Motivationsförderlich ist es, die Erfolge den eigenen Fähigkeiten zuzuschreiben:

  • „Ich war erfolgreich, weil ich hohe Fähigkeiten habe.“
  • „Ich kann mir noch höhere Ziele setzen und ich werde das nächste Mal wieder gut abschneiden!“

Motivationsförderlich ist es ebenfalls, Misserfolge auf veränderbare Faktoren wie geringe Anstrengung oder ungünstige Rahmenbedingungen zurückgeführt werden:

  • „Ich habe mich nicht genügend vorbereitet, daher habe ich ein schlechtes Feedback erhalten. Wenn ich mich besser vorbereite, bin ich in der Lage, es besser zu machen.“

Werden Misserfolge den eigenen mangelnden (unveränderbaren) Fähigkeiten zugeschrieben, wird das in den meisten Fällen zur Minderung der Motivation und in weiterer Folge zu zusätzlichen Misserfolgen (bzw. „verpassten Chancen“) führen. Am Ende einer solchen Entwicklung kann dann eine „Illusion von Inkompetenz“ [11] entstehen (siehe auch: Beurteilen von schriftlichen und mündlichen Prüfungen).

3.2. Stellvertretende Erfahrungen

Neben dem eigenen Erfahren von Erfolgserlebnissen hat sich auch das Beobachten erfolgreichen Handelns als wirksam erwiesen. Das stellvertretende Erleben von Erfolgen und Misserfolgen beeinflusst die Selbstwirksamkeit dabei umso stärker, je ähnlicher die beobachtete Person der eigenen Person ist und wenn sie geringfügig bessere Leistungen erzielt als man selbst (z.B. Lehramtsstudierende, die in der Praxisphase Lehrende beobachten, mit denen sie sich identifizieren können und deren Erfahrung sie einschätzen und für sich nutzen können).

3.3. Verbale Unterstützung

Verbale Unterstützung („Du kannst das!“ oder auch als Selbstinstruktion „Ich kann das!“) kann ebenfalls einen Beitrag zur Steigerung der Selbstwirksamkeit leisten. Die größte Wirkung wird erzielt, wenn der/die Unterstützende als besonders glaub- und vertrauenswürdig wahrgenommen wird und über ExpertInnenwissen verfügt. Das ermutigende, motivierende Feedback eines erfahrenen Mentors/einer erfahrenen Mentorin oder eine gut aufbereitete Coaching-Situation können hier unterstützen. Eine als unglaubwürdig eingeschätzte verbale Unterstützung wird hingegen sehr rasch als demotivierend wahrgenommen und kann die Selbstwirksamkeit schwächen (siehe auch: Formulieren von Feedback). 

3.4. Gefühlsmäßige Erregung

Auch physiologische und affektive Zustände können einen Einfluss auf die Selbstwirksamkeit haben. Gerade in Prüfungssituationen wird das körperliche Aktivierungsniveau (Empfindungen wie feuchte Hände, Zittern oder Herzrasen) oft als Zeichen für ein mögliches Scheitern interpretiert. Daraus ergeben sich entsprechende Konsequenzen für die Selbstwirksamkeitserwartung[12]. Durch Übung kann eine andere Interpretation dieser körperlichen Wahrnehmungen erlernt werden (z.B. statt sich selbst zu suggerieren „Ich bin nervös und ängstlich“ besser sagen „Ich bin angespannt aber dadurch wach und aufmerksam“, siehe auch: Umgang mit Prüfungsangst bei Studierenden).

4. Praxistipps: Selbstwirksamkeit von Studierenden stärken

Mit den folgenden Maßnahmen können Sie die Überzeugung der Studierenden stärken, dass ihre Erfolge auf ihren eigenen Fähigkeiten und Anstrengung basieren.[13]

Praxistipp

4.1. Richtig Ziele setzen

  • Formulieren Sie Ihre Lernziele sehr spezifisch, um Leistungszuwächse transparent machen zu können und zugleich zu verhindern, dass Studierende resignieren. Allgemeine Zielvorgaben (z.B. „Sie können das!“, „Strengen Sie sich an!“) sind hingegen nicht wirkungsvoll.
  • Erinnern Sie die Studierenden in regelmäßigen Abständen an die Ziele.
  • Strukturieren Sie den Lernstoff in überschaubare Lernziele und kommunizieren Sie diese, denn kleinere Teilziele steigern die Wahrscheinlichkeit von Erfolgserlebnissen.
  • Regen Sie die Studierenden an, ihre Erfolge an kleinen Lern- und Entwicklungsschritten zu messen. 
  • Ermutigen Sie die Studierenden, sich selbst (lang- und kurzfristige) Ziele zu setzen. Selbstgesetzte Ziele sind meist anspruchsvoller als fremdgesetzte Ziele und werden mit größerem Engagement verfolgt. Die Ziele sollten konkret, erreichbar, aber dennoch herausfordernd sein. Sie können die Studierenden bspw. dazu anregen, einen individuellen Lernplan zu erstellen.
  • Lassen Sie, wo es möglich ist, Mitbestimmung bei der Gestaltung des Lernprozesses zu. Dies könnten beispielsweise eigene Schwerpunkte sein, die sich die Studierenden setzen, die freie Themenwahl bei einer schriftlichen Arbeit oder die Wahl der Präsentationsform eines Themas. Dies bietet den Studierenden eine gute Übungsmöglichkeit zum eigenständigen Setzen von Zielen.
  • Geben Sie bei neuem Lernstoff zu Beginn eher einfachere und überschaubare Aufgaben („Warm up Items“) vor, damit Studierende den Lernprozess mit einem Erfolgserlebnis starten und von Beginn an Selbstwirksamkeit aufbauen können.
  • Geben Sie mit zunehmender Dauer der Bearbeitung eines Themas (und steigender Selbstwirksamkeit) schwierigere Aufgaben vor. Nicht nur, um den Lernfortschritt voranzutreiben, sondern auch, da schwierige Aufgaben mehr Informationen über die individuellen Leistungspotenziale der Studierenden vermitteln.

Praxistipp

4.2. Erfolge der Studierenden sichtbar machen

  • Machen Sie durch konstruktives und konkretes Feedback den Lernfortschritt Ihrer Studierenden sichtbar („Ermutigung“), siehe auch: Feedback durch Lehrende.
  • Regen Sie Ihre Studierenden an, Lösungswege und -strategien verbal, bildlich oder schriftlich darzustellen, um eine systematische Herangehensweise an eine Aufgabe zu fördern und somit den potentiellen Lernerfolg zu erhöhen.
  • Auch der Lernerfolg selbst kann von den Studierenden gut durch eine Visualisierung der Lernfortschritte aufgezeigt werden.
  • Lassen Sie die Studierenden den Erfolg ihrer Zielerreichung selbst bewerten. Die Reflexion über Gelingen und Misslingen fördert eine angemessene Interpretation der Erfolge und der Umgang mit Misserfolgen kann geübt werden.
  • Regen Sie die Studierenden an, sich selbst zu sagen: „Ich fühle mich in der Lage, mir dieses Wissen anzueignen“ im Gegensatz zu: „Wenn man den Stoff lernt, kann man die Prüfung bestehen.“ Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass die erste Aussage einen klaren Selbstbezug beinhaltet und somit eine Kompetenzerwartung darstellt im Gegensatz zur zweiten Aussage, die nur eine Konsequenzerwartung zeigt. Damit lenken Sie die Aufmerksamkeit der Studierenden auf die Einschätzung ihrer eigenen Handlungsmöglichkeiten.

4.3. Praxisbeispiel

Wenn sich Studierende in Ihrem Seminar nicht in Diskussionen einbringen, sich nie zu Wort melden oder bei Referaten sehr aufgeregt sind, muss das nicht an mangelnden Fähigkeiten liegen. Ein Grund dafür kann eine gering ausgeprägte Selbstwirksamkeit sein.

Wie können Sie als Lehrperson dazu beitragen, dass Studierende mit geringer Selbstwirksamkeit ihr Potential entfalten können?

  • Unterstützen Sie die Studierenden aktiv in ihrem Erfolgserleben. Individuelle Aufgaben (kleine Ziele setzen!) helfen dabei, dass die Studierenden diese Erfolgserfahrungen machen können.
  • Helfen Sie den Studierenden durch wertschätzendes und konkretes Feedback eine Beurteilungssituation richtig einzuordnen: nicht er/sie selbst wird bewertet, sondern die Situation.
  • Stärken Sie das Vertrauen der Studierenden in ihre eigenen Fähigkeiten, indem Sie die grundsätzliche Leistungsfähigkeit auch bei Rückschlägen nicht in Frage stellen.
  • Informieren Sie die Studierenden über Lerntechniken und Problemlösungsstrategien, um ihre Fähigkeiten zu erweitern und ihre Handlungsfähigkeit zu stärken.[14]

5. Die eigene Selbstwirksamkeit als Lehrpersonen reflektieren

Auch Sie als Lehrperson können sich die Strategien zur Steigerung von Selbstwirksamkeit zu Nutze machen. Die Unterrichtsforschung[15] hat deutlich gemacht, dass der entscheidende Faktor für gute Lehre darin liegt, dass die Lehrpersonen davon überzeugt sind, ihre Studierenden erreichen zu können: „Selbstwirksamkeitserwartungen können gleichsam als Resonanzerwartungen verstanden werden, als die Erwartung, durch eigenes Handeln die Welt zu erreichen und zum Sprechen zu bringen.“ [16]

Quellen

[1] Vgl. dazu auch Entwicklungsplan 2025, S. 35f. https://www.univie.ac.at/rektorenteam/ug2002/entwicklung.pdf [letzter Zugriff 22.10.2019].

[2] Vgl. Bandura, Albert. „Self-efficacy: Toward a unifying theory of behavioral change“. Psychological Review 84, Nr. 2 (1977): 191–215; ders. Self-efficacy: The Exercise of Control. New York, NY: Freeman, 1997; ders. „Self-efficacy: Toward a unifying theory of behavioral change“. Psychological Review 84, Nr. 2 (1977): 191–215.

[3] Stangl, Werner. „Selbstwirksamkeit.“ Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik, 2018. http://lexikon.stangl.eu/1535/selbstwirksamkeit-selbstwirksamkeitserwartung/ [letzter Zugriff 22.10.2019].

[4] Schwarzer, Ralf, und Matthias Jerusalem. „Das Konzept der Selbstwirksamkeit“. In Selbstwirksamkeit und Motivationsprozesse in Bildungsinstitutionen, herausgegeben von Matthias Jerusalem und Diether Hopf. Zeitschrift für Pädagogik: Beiheft; 44. Weinheim u.a.: Beltz, 2002 28–53.

[5] Bandura, Self-efficacy.[2]; Hattie, John. Lernen sichtbar machen, 3. Aufl. Baltmannsweiler: Schneider-Verlag Hohengehren, 2015.

[6] Breker, Tim. „Fähigkeitsselbstkonzept, Selbstwirksamkeit & Mindset – Wie können Lehrkräfte Erkenntnisse aus der Sozial-Kognitiven-Psychologie nutzen, um die Potenzialentfaltung von Schülerinnen und Schülern zu fördern?“ Dissertation, Europa-Universität Viadrina, 2016.

[7] Seligman, Martin E. P. Erlernte Hilflosigkeit. München u.a.: Urban & Schwarzenberg, 1979.

[8] Bandura, Albert. Social foundations of thought and action: A social cognitive theory. Englewood Cliffs, NJ: Prentice-Hall, 1986.

[9] Schwarzer und Jerusalem, „Selbstwirksamkeit“, S. 29. [4]

[10] Bandura, Albert, Nancy Adams, Arthur Hardy, und Gary Howells. „Tests of the generality of self-efficacy theory“. Cognitive Therapy and Research 4, Nr. 1 (1980): 39–66.

[11] Breker, „Fähigkeitsselbstkonzept, Selbstwirksamkeit & Mindset“. [6]

[12] Lazarus, Richard S. Emotion and Adaptation. New York: Oxford University Press, 1991.

[13] Orientiert an Hattie, Lernen sichtbar machen [4]; Schwarzer und Jerusalem, „Selbstwirksamkeit“, 46 [4]; Bandura, Albert, und Dale H. Schunk. „Cultivating Competence, Self-efficacy, and Intrinsic Interest through Proximal Self-motivation“. Journal of Personality and Social Psychology 41, Nr. 3 (1981): 586–598.

[14] Orientiert an Breker, „Fähigkeitsselbstkonzept, Selbstwirksamkeit & Mindset“. [6]

[15] Jerusalem, Matthias, und Diether Hopf (Hrsg.). Selbstwirksamkeit und Motivationsprozesse in Bildungsinstitutionen. Zeitschrift für Pädagogik: Beiheft; 44. Weinheim u.a.: Beltz, 2002;

[16] Rosa, Hartmut. Resonanz. Berlin: Suhrkamp, 2016.

Empfohlene Zitierweise

Kriegler-Kastelic, Gisela: Selbstwirksamkeitserwartungen. Infopool besser lehren. Center for Teaching and Learning, Universität Wien, Februar 2018. [https://infopool.univie.ac.at/startseite/universitaeres-lehren-lernen/selbstwirksamkeitserwartungen/]

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